Jesus von Nazareth: Das frühe Christentum

Jesus von Nazareth: Das frühe Christentum
Jesus von Nazareth: Das frühe Christentum
 
Eine Darstellung des Lebens und der Lehre Jesu kann sich ausschließlich auf christliche Zeugnisse stützen. Als Quellen kommen die Schriften des Neuen Testaments, vor allem die Evangelien in Betracht. Auch wenn sich als Folge eines lebendig-pluralen Traditionsprozesses Abweichungen in den Evangelien zeigen, so hat die neutestamentliche Forschung doch dies gesichert: Jesus wurde zwischen der Volkszählung des Quirinus (9-6 v. Chr.) und dem Tod Herodes des Großen (4 v. Chr.) im galiläischen Nazareth geboren. Die enge Vertrautheit mit der jüdischen Religion weist darauf hin, dass Jesus sich von früh an in streng gesetzesgläubigen Kreisen bewegte. Für seinen Entschluss, als Wanderprediger aktiv zu werden, muss die Begegnung mit Johannes wesentlich gewesen sein, von dem er die Taufe im Jordan empfing. Der Täufer verkündete die unmittelbare Nähe des Gottesreiches und mahnte zur Umkehr.
 
Die Vermittlungsform der jesuanischen Botschaft vom faktischen Anbruch der Gottesherrschaft, der Gottes-, Nächsten- und Feindesliebe waren zumeist leicht fassliche Gleichnisse. Sich selbst mag Jesus als den von Gott gesandten »Menschensohn« verstanden haben. Reibungen mit verschiedenen religiösen Strömungen des Judentums (Pharisäer, Sadduzäer) konnten nicht ausbleiben, da sich Jesus zumindest teilweise gegen eine zu enge Auslegung des mosaischen Gesetzes stellte (Streit um die Sabbatgebote). Wohl im Jahre 30 zog Jesus zur Feier des Passahfests nach Jerusalem. Dort soll ihn eine große Menge Festpilger als messianische Erscheinung gefeiert haben.
 
Vorzüglich die »Partei« der Sadduzäer, aus deren Kreis der Hohepriester kam, der zugleich dem Hohen Rat (Synedrium), der obersten religiösen und gerichtlichen Behörde des Judentums, vorstand, scheint an einer Beseitigung Jesu interessiert gewesen zu sein. Problematisch ist die Beantwortung der Frage, wie sich der Prozess Jesu abgespielt hat. Zurückzuweisen ist, dass Jesus von den Synedristen zum Tode verurteilt wurde. Vielmehr ist er wohl von führenden sadduzäischen Kreisen bei dem römischen Prokurator Pontius Pilatus als Unruhestifter verklagt und von diesem mit dem Kreuzestod bestraft worden. Für die Juden bedeutete der Tod Jesu das Scheitern eines falschen Propheten, seine Anhänger sahen darin dagegen den Beginn einer neuen Weltzeit. Sie bekannten Jesus als den gekreuzigten, auferstandenen, in nächster Zukunft wiederkommenden Messias (Christus).
 
Die älteste Christengemeinde existierte in Jerusalem. Diese »Urgemeinde«, deren Geschichte im Wesentlichen identisch ist mit der des Urchristentums, bestand überwiegend aus palästinisch-jüdischen Christusgläubigen. Die Judenchristen dokumentierten zwar ihre Eigenständigkeit durch gemeinsame Mahlfeiern, die Hervorhebung des Sonntags als Gedenktag der Auferstehung Jesu sowie durch Kollektivbesitz. Doch eine förmliche Abkehr von den Traditionen jüdischen Glaubens lag nicht in ihrem Interesse. Allmählich wuchs in der Urgemeinde die Anzahl der Juden, die verschiedenen außerpalästinischen Gebieten, der Diaspora, entstammten. Sie wurden »Hellenisten« genannt und dadurch von den »Hebräern«, den palästinischen Judenchristen, unterschieden.
 
Die Hellenisten pflegten einen liberaleren Umgang mit den Vorschriften des mosaischen Gesetzes und den kultisch-rituellen Verpflichtungen. Dies hatte Konfrontationen mit streng gesetzestreuen Kreisen zur Folge und zog Bedrängungen seitens amtlicher jüdischer Stellen nach sich. Vereinzelt kam es auch zu Liquidierungen hellenistischer Judenchristen (Hinrichtung des Stephanus). Die Hellenisten verließen daraufhin Jerusalem und gründeten in Judäa, Samaria, Phönikien und im nordsyrischen Antiochia Christengemeinden, von denen aus eine rege Missionstätigkeit betrieben wurde. Missionarische Aktivitäten entfaltete freilich auch die Urgemeinde, in der die Mehrzahl der Hebräer sowie die Apostel, die eigentlichen Träger der Mission, zurückblieben. Die Aufsicht über die Jerusalemer Gemeinde hatte anfänglich Petrus.
 
Von besonderer Bedeutung für die Ausbreitung des frühen Christentums war der »Heidenapostel« Paulus. Im Jahre 10 geboren, entstammte er einer orthodox-jüdischen Familie aus Tarsos in Kilikien, hatte in Jerusalem Theologie studiert, das aufkommende Christentum zunächst bekämpft und sich nach einem Bekehrungserlebnis in den Dienst der Ausbreitung des christlichen Glaubens gestellt. Von Antiochia aus begann Paulus sein weit ausgreifendes Missionswerk. Auf mehreren Reisen trug er die christliche Verkündigung nach Kleinasien sowie nach Griechenland. Er ergänzte seine Predigt durch umfangreiche theologische Lehrschreiben. Ein Teil seiner Briefe ist im neutestamentlichen Schriftenkanon enthalten.
 
Seine vehement vorgetragene Überzeugung, dass Wirken, Leiden und Auferstehung Jesu die Aufhebung des mosaischen Gesetzes bedeute, sicherte ihm die Gegnerschaft orthodoxer Juden. Auf deren Veranlassung wurde er im Jahre 58 vom römischen Prokurator in Palästina, Festus, gefangen genommen. Zwei Jahre später gelangte Paulus, der das römische Bürgerrecht besaß, nach Rom, wo ihm der Prozess gemacht werden sollte. In der Hauptstadt konnte der Apostel noch eine Zeit lang öffentlich wirken, ist dann aber zwischen 63 und 67, wohl im Zusammenhang der neronischen Verfolgung, wie wahrscheinlich auch Petrus, umgekommen.
 
Durch das Verlangen der Judaisten, Beschneidung und Gesetzesbeobachtung von allen Heidenchristen zu verlangen, sah Paulus, abgesehen von theologischen Gründen, seine Missionserfolge gerade unter Nichtjuden gefährdet. Dieser Streitpunkt wurde auf dem Apostelkonzil (48/49) zugunsten der Freiheit der Heidenchristen entschieden. Dennoch fanden sich die Judaisten mit dieser Regelung nicht ab, was in der Folgezeit eine Vielzahl von Problemen in den Gemeinden schuf.
 
Mit der Hinrichtung des Jakobus (ca. 62), Konsequenz wieder aufflammender starker antichristlicher Ressentiments innerhalb des orthodoxen Judentums, verliert die Urgemeinde in Jerusalem an Bedeutung. Der Ausbruch des Jüdischen Krieges motivierte die Christen Judäas, ins Ostjordanland und nach Syrien zu emigrieren (64-66). Zwar kehrte ein Teil der palästinischen Christen nach der Verheerung Jerusalems zurück, doch konnte die Gemeinde den ursprünglichen Rang nicht wieder erlangen.
 
Judentum und Christentum traten immer stärker auseinander, Juden und Christen beschritten in der Organisation ihrer Gemeinden, in der Theologie und religiösen Praxis unterschiedliche Wege. Unter theologiegeschichtlichem Aspekt fällt die Geschichte des Urchristentums zusammen mit der Entstehung jener Schriften, die im Kanon des Neuen Testaments zusammengefasst sind und das Glaubensverständnis der frühen Christen reflektieren. Dieser Prozess der Abfassung der kanonischen Texte war um die Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert abgeschlossen.

Universal-Lexikon. 2012.

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